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17.11.2021

Durch das Minenfeld:
Billy Wagner im Interview


Billy Wagner: Wirt und Betreiber des Nobelhart und Schmutzig, Prophet der Regionalküche, Liebhaber des puren, unverfälschten Produkts. In der siebten Folge von Deutschlands beliebtestem Weinpodcast  „Terroir & Adiletten“ spricht er über Selbstbewusstsein, Massentierhaltung und seinen Weg zum Wein.

Hier zum Nachhören: Terroir & Adiletten – der Weinpodcast

Du bist in Mittweida bei Karl-Marx-Stadt geboren und danach sehr oft umgezogen. Wie hat dich deine Jugend geprägt?

Billy: Ich war insgesamt auf dreizehn Schulen, bin also ein bisschen rumgekommen. Wir waren Republikflüchtlinge, sind im September 1989 rüber. Wenn du damals Ossi warst und dann im Westen groß wurdest, das war ein bisschen wie der einzige Türke in Rosenheim oder so. Die Menschen suchen immer irgendwas, was anders ist und machen sich dann darüber lustig. Und dadurch, dass natürlich seit 89 oder 90 der Osten eigentlich auch nichts mehr wert war und Ost-Kultur grundsätzlich scheiße war, hat das natürlich irgendwas mit einem gemacht.
Es hat schon eine Bedeutung für mich ostdeutsch zu sein, obwohl ich im Westen groß geworden und west-sozialisiert bin, auch auf einem westdeutschen Internat war. Aber ich war eigentlich immer der einzige Ossi. Wenigstens hat man es nicht von weitem gesehen, wenn du schwarz bist oder oder asiatisch aussiehst, sieht man das halt sofort. Das ist natürlich schon noch mal was anderes.

Aber das mit dem Selbstbewusstsein hast du dann ja gut hingekriegt.

Billy: Natürlich ist das auch eine Schutzhülle, ein Panzer. Aber wie es immer so ist, da ist ein weicher Kern – und ein runder.

Apropos weich und rund: du machst jetzt viel Sport?

Billy: Ich geh laufen, auch ins Fitnessstudio, benutze dort Geräte und mache Eigengewicht-Sachen. Und ich habe eine Trainerin, die mich durch die Gegend peitscht. Das tut supergut. Das ist ein Ausgleich zu Arbeit und Stress und ich kann  abschalten.

Ich bin im Holmes-Place am Gendarmenmarkt, wo auch Jogi Löw trainiert und Bushido, der hat immer zwei Securities mit dabei (lacht).

Wie bist du zum Wein gekommen?

Billy: Ich habe 1997 eine gastronomische Ausbildung angefangen, diese nach zweieinhalb Jahren abgeschlossen und dann in dem im Essigbrätlein in Nürnberg angefangen. Da waren wir zu zweit im Service und ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung, drei Teller tragen irgendwie, aber mehr auch nicht. Aber ich habe da den ersten Kontakt mit einer interessanten, ungewöhnlichen Weinkarte gehabt und von da an immer in Restaurants gearbeitet, die viel mit Wein zu tun hatten. 

Es war auch immer ein bisschen Selbstschutz: wenn man weiß, was gut ist und gut schmeckt, kann man sich auch selber was Gutes zuführen. Und es ist natürlich interessant, die Menschen dahinter kennenzulernen und eine Region zu verstehen.
Man kann in der Toskana  auf einer Burg rumlungern, oder man hängt in einem Restaurant oder auf dem Weingut ab und lernt Menschen kennen, die da arbeiten.
Und wenn ich etwas mache, dann will es auch gut machen. Das geht nicht ohne ein bisschen Ahnung.

Nach deiner Zeit als Sommelier im Rutz kam das Nobelhart & Schmutzig, plötzlich warst du Gastgeber und hast über Regionalität und Brutalität gesprochen.

Billy: Also ich kaufe persönlich nicht nur regional, ich kaufe auch Schokolade, Orangen und Bananen. Sogar gerne, aber nur in besonders guter Qualität. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal im Rewe oder Edeka war – seit ich mein Essen selber einkaufen musste, kaufe ich im Bioladen, weil ich das Erlebnis da oder auf dem Markt viel schöner finde.

Was mich dann wirklich zur Regionalität gebracht ist der Wein. Diese bunte Vielfalt von Sizilien übers Burgenland und die Loire bis an die Mosel.
Das
Bewusstsein, dass regionale Unterschiede überhaupt existieren hat mich zur Frage geführt: Was ist denn das Eigenständige an unserer Region rund um Berlin? Was ist denn eigentlich unsere Stärke, sind es Massenbetriebe für 10.000 Hennen oder Schweine? Ist das unsere DNA? Oder gibt es da eigentlich noch mehr?

Und das führt dann letztlich zum berühmten Konzept: Kein Pfeffer und kein Olivenöl.

Billy: Durch die Begrenzung an Lebensmitteln entsteht Kreativität. Das ist, wie wenn du Musik machst, gelangweilt bist von einem Sound und das Gefühl hast, alles hört sich gleich an. Dann musst du etwas weglassen, dich begrenzen. Mir fällt dazu der Musiker Matthew Herbert ein. Er hat zum Beispiel mal eine Platte nur mit Schweinegeräuschen gemacht. 

Das tut er, um sich abzugrenzen, um seine Arbeit spannend zu machen. Ob das jetzt immer alles geil ist, weiß ich nicht so genau. Aber das ist einfach die Idee dahinter: Olivenöl und Pfeffer mal weglassen. Nicht weil Pfeffer oder Olivenöl scheiße sind oder weil ich selber kein Olivenöl esse. Im Gegenteil, ich trinke Olivenöl.

Aber für unser Restaurant eben nicht.

Bei euch geht es um mehr als Essen und Trinken, ihr habt einen gesellschaftlichen, ja politischen Anspruch, oder täuscht der Eindruck?

Billy: Nein. Wir hatten zum Beispiel gerade einen Anti-Rassismus-Workshop für zwei Tage, haben davor einen Sexismus-Workshop gemacht, als nächstes folgt ein LGBTQ+ Workshop. Wie alle suchen wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, wir wollen uns sehr offen präsentieren für Menschen, die überlegen, bei uns arbeiten. Und die sich vielleicht bis jetzt noch nicht getraut haben, weil da zwei weiße Männer sind, die da das Ruder in der Hand halten. Zum Beispiel Frauen aus einem anderen Kulturkreis, die glauben, sie wären bei uns nicht willkommen. Daran arbeiten wir gerade und wir werden sehen, was daraus noch eigentlich alles entsteht. Wo fängt Diskriminierung an? Wer bestimmt eigentlich, was Diskriminierung ist? Inwieweit fühlt sich eine Mitarbeiterin wohl im Unternehmen, mit den Köchen, den Köchinnen, den Gästen? Dazu gehört auch:

Was ist eigentlich okay vom Gast? Wann hört flirten auf, wann ist flirten übergriffig? Einfach so interessante inhaltliche Fragen, die sie jetzt gerade so in unserem Kopf. Ein interessantes Feld, aber auch ein Minenfeld.

Instagram: nobelhartundschmutzig

Website: nobelhartundschmutzig.com

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